© Brooke Lori Pyke / Ocean Art 2019 Underwater Photography Competition

#02 Woher kommt der Plastikmüll im Meer?

22. Juni 2023

Die kurze Antwort auf diese Frage lautet, dass der Plastikmüll im Meer hauptsächlich aus Entwicklungs- und Schwellenländern stammt, in denen er unzureichend gesammelt und mangelhaft verwertet wird. Dabei spielen Plastikmüllexporte eine untergeordnete Rolle.

 

In diesem Beitrag gehen wir auf die Ursache ein, weshalb so viel Plastikmüll den Weg in die Natur findet, wie wenig davon ins Meer gelangt, woher der Müll kommt und weshalb unser Einfluss darauf in Mitteleuropa immer geringer wird.

 

Etwa ein Drittel des weltweit anfallenden Plastikmülls gelangt in die Natur. [1] Für das Jahr 2019 wurde die Gesamtmenge an Kunststoff, der in der Umwelt landet, auf 22 Millionen Tonnen geschätzt. Von diesem Umwelteintrag entstehen 88% durch größere Kunststoffteile (Makroplastik) und 12% durch Mikroplastik. [2]

 

Doch die Menge, die im Meer landet und am meisten Aufmerksamkeit erhält, macht nur einen kleinen Teil des Problems aus. Eine neue Studie berechnet, dass weniger als 2% im Meer enden. Mehr als 98,5% des “wilden” Plastikmülls verbleiben an Land oder verschmutzen Flussläufe und Gewässer. Die Studie analysierte über 4 Jahre hinweg 136 Messungen an 67 verschiedenen Flüssen. [3]

 

Warum wird so viel Plastikmüll “wild”?

Plastikmüll wird häufig in der Natur entsorgt, weil ihn niemand haben will. Im Gegensatz zu begehrten Rohstoffen wie Alteisen hat der Großteil des Plastikmülls keinen oder sogar einen negativen Wert. Das bedeutet, man muss sogar dafür bezahlen, wenn man ihn loswerden möchte. Die meisten Produkte und Verpackung aus Kunststoff sind nämlich noch so hergestellt, dass sie nicht wirtschaftlich recycelt werden können.

 

 

Ausnahmen sind vorwiegend Produkte und Verpackungen, die aus Monomaterial bestehen, zum Beispiel die transparente Plastik-PET-Flasche. Sie ist ein gefragter Rohstoff geworden, da sie einfach und kostengünstig recycelt werden kann. Die PET-Flasche beweist global, dass sich ein Absatzmarkt für Müll ganz von allein etablieren kann, wenn Kunststoff leicht zu recyceln ist. Insbesondere in Entwicklungsländern verdienen sich die Ärmsten der Armen durch das Sammeln und Weiterverkaufen von PET-Flaschen ein (zusätzliches) Einkommen, ganz ohne Pfand.

 

 

Auf die detaillierten Gründe, weshalb die meisten Kunststoffprodukte heute so schwer recycelbar sind, gehen wir in einem folgenden Beitrag ein: #05 Wie funktioniert Kunststoffrecycling und weshalb ist das mit meinem Müll so schwer?

© WasteReduction – Albania 2022

Weshalb funktionieren denn dann die Müllabholungen bei uns?

Bei uns sorgt eine politische Lösung dafür, dass der ungeliebte Plastikmüll trotzdem von Haushalten abgeholt und die Abfallwirtschaft finanziert wird. In mehreren Ländern in Mitteleuropa wurde vor über 30 Jahren das sogenannte „duale System“ gesetzlich eingeführt. Abfallgesetze verpflichten jeden Hersteller, der Verpackungen aus Kunststoff verkauft, eine Gebühr an das duale System abzuführen.


Diese Gebühren erhalten Abfallentsorgungsunternehmen, die den Plastikmüll von unseren Haushalten im gelben Sack abholen und (meist) fachgerecht verwerten. Das wohl bekannteste Entsorgungsunternehmen, das durch diese Gebühren finanziert wird, ist der „Grüne Punkt.“ Weil aber nur Verpackungen am dualen System teilnehmen, dürfen auch nur sie im gelben Sack bzw. der gelben Tonne landen. Dies wird gerade mit der Wertstofftonne geändert. Wer keine hat, muss alle anderen Objekte aus Kunststoff im Restmüll entsorgen.


Zwar kann man bei der Entsorgung im gelben Sack noch nicht von Recycling sprechen, aber zumindest landet er nicht (direkt) in der Natur. Dieses System fehlt jedoch in vielen Regionen und speziell in Entwicklungs- und Schwellenländern, denn das Geld dafür steht oft nicht zur Verfügung. Dies führt dazu, dass etwa 2 Milliarden Menschen mit ihrem Müll alleine gelassen werden. [4]


Denn wenn es in Ländern noch kein Sozialsystem, Krankenversorgung oder Altersvorsorge gibt, ist Müll häufig das letzte Problem, um das sich Regierungen kümmern. Nicht selten leben Menschen dann zwischen ihrem eigenen Müll. Regen, Überschwemmungen, Wind und das fehlende Bewusstsein der Menschen sorgen dafür, dass der leichte Plastikmüll in Gewässern landet und zum Teil über Flüsse ins Meer befördert wird.


Die gänzlich fehlende oder unzureichende Praxis, den Müll von Haushalten abzuholen und anschließend fachgerecht zu verwerten, führt zur großen Umweltkatastrophe. Laut OECD ist unzureichendes oder fehlendes Abfallmanagement für 82% des Plastikmülleintrags in die Natur verantwortlich. [2]

Welche Länder haben den größten Plastikmülleintrag in die Meere?

Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Land bzw. eine Region mehr Plastikmüll “emittiert” steigt, wenn neben schlechtem Abfallmanagement ein tropisches Klima mit viel Niederschlag herrscht. Andere Faktoren sind die Länge einer Küstenlinie und die Bevölkerungsdichte eines Landes.

Die Philippinen führen diese besorgniserregende Statistik an: jährlich gelangen von hier aus 356.371 Tonnen Plastik ins Meer. Die Top 5 vervollständigen Indien, Malaysia, China und Indonesien. 

Die folgende Grafik vermittelt einen Eindruck der Verteilung. Die Zahlen beschreiben die Mengen in Tonnen Plastikmüll, die jährlich in die Ozeane gelangen. Das Segment mit dem Titel „Rest of the world“ mit einer Masse von 176.012 Tonnen/Jahr haben wir noch weiter aufgeschlüsselt: In der Statistik liegen folgende Länder auf den Plätzen 11 – 21: Nigeria 19.000, Türkei 14.000, Kamerun 11.000, Sri Lanka 9.700, Guatemala 7.100, Haiti 6.900, Dominikanische Republik 6.300, Venezuela 6.000, Tansania 5.800, Algerien 5.800. 

Es wird geschätzt, dass jährlich etwa 67,5 Millionen Tonnen Plastikmüll in der Natur landen, von denen ca. 1 Million Tonnen in die Meere gelangen. [3]

Waren da nicht noch die Plastikmüllexporte?

Obwohl wir in Industrieländern am meisten Plastikmüll pro Kopf produzieren, tragen wir nicht wesentlich durch direkten Plastikmülleintrag zur globalen Plastikkrise bei. 98 % des Plastikmülls im Meer stammt nämlich aus Ländern außerhalb Europas und den USA. [1] Das Produzieren und Verwenden von Plastikmüll korreliert also nicht direkt mit dem Umweltproblem. Diese Statistik ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Viele Jahre haben Europa und die USA ihre Plastikabfälle in die Welt exportiert, frei nach dem Motto: Die anderen werden sich schon gut um unseren Müll kümmern.

 

Bis 2018 war China der größte Importeur von Plastikmüll. Viele chinesische Unternehmen, die Plastikmüll gegen Bezahlung angenommen hatten, haben ihre Recyclingversprechen jedoch nicht gehalten. Zum einen, weil die Versprechen ohnehin unrealistisch waren und zum anderen, weil sie viel schlechteren Müll als vereinbart von den Exporteuren erhielten. Weil sich der importierte Müll seinen Weg in die Natur bahnte, verbot die chinesische Regierung 2018 als erstes Land die Plastikmüllimporte.

 

Der Plastikmüll suchte sich daraufhin andere „billige“ Recycler weltweit als Ziel. Teilweise wurde hier sicher bewusst weggeschaut. Das Resultat war, dass sich die Umweltprobleme besonders in Südost-Asien verschlimmerten. Der darauffolgende mediale Aufschrei hat sicher positiv dazu beigetragen, dass die EU im Jahr 2021 strengere Gesetze für den Handel mit Plastikmüll erlassen hat. Viele Länder haben außerdem mittlerweile auch Importverbote für Plastikmüll eingeführt. Der Handel mit Plastikmüll ist seither nur noch in OECD-Ländern erlaubt und auf ausschließlich sortenreinen, also gut vorsortierten, Plastikmüll beschränkt.

 

Also landet meine Chipstüte jetzt nicht mehr im Meer?

Die neuen Gesetze scheinen zum Glück ihre Wirkung zu zeigen. Alleine 2021 gingen deutsche Plastikmüllexporte um ca. 25% zurück. Von 2016 bis 2021 ist sogar eine Reduktion von 47% zu verzeichnen. [5] Das alles ist noch kein Grund, uns, oder unseren Gesetzgebern auf die Schultern zu klopfen. Auch gut sortierter und wertvoller Plastikmüll führt zu einer Umweltkatastrophe, wenn manche Staaten Müll aus dem Ausland einkaufen, statt eigenen Müll zu sammeln und zu recyceln, wie dies oft über die Türkei berichtet wird. [6,7] Und die Türkei ist mittlerweile nicht nur auf Platz 12 der Länder mit dem höchsten Plastikmülleintrag in die Meere, sondern ist auch der zweitgrößte Importeur von deutschem Plastikmüll. [8]

 

Aktuell müssen Unternehmen in Deutschland ca. 830 – 900 Euro pro Tonne verkaufter Kunststoffverpackung an das Duale System abführen. [9] Diese Kosten werden natürlich auf die Kunden umgelegt. Anders ausgedrückt, bezahlen wir alle durchschnittlich 2,4 Euro im Monat dafür, dass unsere gelben Säcke und Tonnen von zuhause abgeholt und verwertet werden. [10] Es ist stark davon auszugehen, dass mit 3 oder 5 Euro Gebühren im Monat, der Plastikmüll in Deutschland bleiben und mehr davon recycelt werden könnte! 

 

Um ab sofort jeglichen Einfluss unseres Plastikmülls auf die globale Plastikkrise zu eliminieren, fordern wir dringend ein Handelsverbot mit dem EU-Ausland und Ländern, die Plastikmüll noch deponieren. Deshalb verlinken wir hier zu einer Petition für ein absolutes EU-Plastikmüllexportverbot. 💚

 

Werden Plastikmüllexporte auf die Bevölkerung umgelegt, liegt Deutschland mit 9,2 kg / Kopf im Mittelfeld, deutlich hinter Österreich mit 19,2 kg / Kopf. Allerdings scheinen kleinere EU-Länder insgesamt deutlich mehr zu handeln, denn die Niederlande exportiert 37 kg / Kopf und Spitzenreiter ist Slowenien mit 62,1 kg / Kopf. [11] Es ist ebenfalls schwer herauszufinden, welche Handelsbilanzen die Länder in Bezug auf Plastikmüll haben. Denn z.B. Österreich liegt 2022 wiederum auf Platz 5 als Importnation für deutschen Plastikmüll. [8]

 

© WasteReduction – Seychelles 2023

Weshalb hilft ein Müllexportstop aus Europa dem Meer nicht ausreichend?

Obwohl die Plastikmüllexporte von Deutschland, als dem insgesamt größten Exporteur von Plastikmüll in der EU, stark zurückgehen, sind die Plastikmengen, die jährlich ins Meer gelangen, exponentiell steigend und das Umweltproblem wird immer größer. Diese Entwicklung zeigt auf, dass ein sehr großer Teil des globalen Müllproblems nicht durch Müllexporte verursacht wird und auch nicht allein durch ein Exportverbot gestoppt werden kann (trotzdem sollte dieser Einfluss natürlich vollständig verschwinden und ist für Industrieländer einfach nur beschämend!).

 

Welchen genauen Anteil Plastikmüllexporte tatsächlich an den globalen Dimensionen der Plastikkrise haben, lässt sich nur ganz schwer einschätzen. In den meisten Entwicklungs- und Schwellenländern nimmt die Nutzung von Plastikverpackungen aber durch Bevölkerungswachstum und steigenden Konsum stark zu, weshalb davon auszugehen ist, dass auch ein umfassender Exportstopp die Meere nicht relevant schützen kann.

 

Die OECD schreibt dazu, dass sich das Problem durch schlecht verwerteten Plastikmüll noch weiter verschlimmern wird. Seit dem Jahr 2000 bis 2019 hat sich der Umwelteintrag durch schlechtes Abfallmanagement weltweit sogar verdoppelt. [2]

 

Deshalb ist es so wichtig, dass wir weltweit die Sammlung, Sortierung, Recycling und die fachgerechte Verwertung von Abfällen vorantreiben. Und die Sammlung ist wichtig, unabhängig davon, ob es sich um Plastikmüll, Altglas, Altmetall oder Altpapier handelt, denn ohne Müllsammlungen werden all diese Rohstoffe verschwendet.

 

Die schnelle Lösung gegen die dramatische Vermüllung unserer Welt ist also nicht die Vermeidung von Abfällen bei uns, sondern ein funktionierendes Abfallmanagement weltweit.

 

Wenn Plastikmüll so viel Schaden anrichtet, seine Sammlung und Verwertung so teuer ist und heute nur ein kleiner Teil recycelt wird, weshalb vermeiden wir Plastik nicht einfach vollständig? #03 Weshalb ist Plastik aus Erdöl Problem und Lösung gleichzeitig?

Von: Martin

Martin hat sich als Umweltschützer, Ingenieur, und ausgebildeter Werkzeugmechaniker tief in das globale Problem von Plastikmüll in der Natur eingefuchst.

Keywords:

Plastikkrise, Plastic-Pain, Plastikmüll, Meer, Mikroplastik, Umwelt, Plastik, Konsum, Umweltverschmutzung, Abfallentsorgung, Waste Reduction, Plastikkompensation, Plastikneutral+

Quellen:

[1] Ellen MacArthur Stiftung, World Economic Forum. “The new plastics economy rethinking the future of plastics”. Vol. 36. 2016.

[2] OECD (2022), Global Plastics Outlook: Economic Drivers, Environmental Impacts and Policy Options, OECD Publishing, Paris, https://doi.org/10.1787/de747aef-en.

[3] L. J. J. Meijer, T. van Emmerik, R. van der Ent, C. Schmidt, L. Lebreton, More than 1000 rivers account for 80% of global riverine plastic emissions into the ocean. Sci. Adv. 7, eaaz5803 (2021).

[4] Wilson, D.C.; Rodic, L.; Modak, P.; Soos, R.; Carpintero Rogero, A.; Velis, C.; Iyer, M.; Simonett, O. Global Waste Management Outlook; Prepared for United Nations Environment Programme (UNEP) and International Solid Waste Association (ISWA) (2015).

[5] Statistisches Bundesamt Deutschland: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/06/PD22_N035_51.html; abgerufen am 15.06.2023.

[6] taz.de (2019) Plastikexport aus Europa in die Türkei: https://taz.de/Plastikexport-aus-Europa-in-die-Tuerkei/!5594717/ ; abgerufen am 15.06.202.3

[7] Focus online (2021), Türkei hebt Verbot auf – und importiert bald wieder tonnenweise deutschen Müll, https://www.focus.de/finanzen/news/muellhalde-europas-tuerkei-importiert-bald-wieder-deutschen-plastikabfall_id_13542226.html ; abgerufen am 15.06.2023.

[8] NABU, “Export von Plastikabfällen” (aus Deutschland), https://www.nabu.de/umwelt-und-ressourcen/abfall-und-recycling/26205.html ; abgerufen am 15.06.2023.

[9] Das Erste, “Was passiert mit dem Verpackungs-Müll?”, https://www.daserste.de/information/ratgeber-service/haushaltscheck/haushalts-check-was-passiert-mit-verpackungsmuell-100.html , abgerufen am 20.06.2023.

[10] Berechnet aus dem durchschnittlichem deutschen Verpackungsmüllaufkommen pro Jahr laut Statistischem Bundesamt und den max. Lizenzgebühren pro Tonne; Deutsches Statistisches Bundesamt, 2022, “6 Kilogramm mehr Verpackungsmüll pro Kopf im Corona-Jahr 2020”, abgerufen am 20.06.2023.

[11] Statista, (2022), basierend auf Daten des Statistischen Bundesamtes, “So viel Plastikmüll exportieren die EU-Länder”, https://de.statista.com/infografik/27585/exporte-von-kunstoffabfaellen-2021-pro-kopf/?utm_source=Statista+Newsletters&utm_campaign=5762c1c741-All_InfographTicker_daily_DE_AM_KW23_2022_Die&utm_medium=email&utm_term=0_662f7ed75e-5762c1c741-314556821 ; abgerufen am 15.06.2023.